Die Platte ist besser
als ihr Ruf
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- Einmaliges
Forschungsprojekt räumt mit Klischees auf -
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Soziale Brennpunkte, Armenviertel oder gar Slums -
bei solchen Vorurteilen über ostdeutsche Plattenbausiedlungen kann Dr. Sigrun Kabisch nur
mit dem Kopf schütteln. Die Soziologin untersucht seit 25 Jahren die Situation im
Leipziger Stadtteil Grünau, also in einem der größten ostdeutschen Plattenbaugebiete.
Bis zur Wende baute die DDR rund eine Million Wohnungen in der Platte. Das ist fast ein
Drittel aller Wohnungen im Osten Deutschlands, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut
wurden.
Grüner als sein Ruf:
Leipzig-Grünau
Bildautor / Quelle: Norma Neuheiser / UFZ |
Im Abständen von mehren
Jahren haben die UFZ-Wissenschaftler die Einwohner von Leipzig-Grünau befragt. Initiiert
wurde diese Intervallstudie durch Prof. Alice Kahl 1979, an der Universität Leipzig als
der Stadtteil noch im Aufbau war. Als Hauptindikator für die Stimmung dient damals wie
heute die sogenannte Gute-Freund-Frage. 2004 antworteten 60 Prozent der Befragten mit JA
auf die Frage "Würden Sie einem guten Freund raten, nach Grünau zu ziehen? |
Das ist der beste Wert seit der Wende. Besser war die Stimmung nur in
den ersten Jahren des Wohngebietes. Für dieses überraschende Ergebnis hat Dr. Sigrun
Kabisch eine einfache Erklärung parat: Wer wegziehen wollte, ist schon lange weg.
Geblieben sind die überzeugten und zufriedenen Grünauer. Und diese erkennen die
inzwischen erfolgten Sanierungs- und Aufwertungsmaßnahmen an. Zwei Drittel wohnen seit
über 15 Jahren in der ?Platte" und verfügen über ein relativ gutes Einkommen. Das
durchschnittliche Einkommen pro Haushalt schwankt in Grünau je nach Wohnkomplex zwischen
1412 und 1836 Euro pro Monat. Insgesamt liegt es aber spürbar über dem Leipziger
Durchschnitt von 1436 Euro pro Monat. Damit sei das Klischee vom Armenviertel
Plattenbausiedlung eindeutig widerlegt, betonen die Soziologen vom UFZ. Dennoch warnen
sie: 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Ihre Miete die persönliche Schmerzgrenze
erreicht habe. Während es sich bei den Alteingesessenen" vorwiegend um Senioren
handelt, deren Rente noch nicht durch Jahre der Arbeitslosigkeit geschmälert wurde, haben
die Neu-Grünauer durchschnittlich geringere Einkommen zur Verfügung.
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Zu DDR-Zeiten lebte fast jeder vierte Leipziger im Stadtteil Grünau. Seit
der Wende schrumpfte die Bevölkerung in dem Plattenbaugebiet deutlich von 85 000 auf 49
000 Einwohner. Aber auch 49 000 Einwohner verdienen unsere Aufmerksamkeit, betont Kabisch.
Das sind immerhin zehn Prozent von Leipzigs Bevölkerung und mehr als in vielen
kreisfreien Städten. Der Abriss von ausgewählten Wohnblöcken stößt bei den Befragten
auf Akzeptanz. Wichtig sei jedoch, dass die Mieten dadurch nicht steigen, dass der Abriss
begründet erfolgt und die bestehende Infrastruktur dabei nicht zerstört wird, so die
Meinung der Grünauer. In den letzten Jahren wurden über Stadtförderprogramme etwa 40
Millionen Euro in die Modernisierung von Leipzig-Grünau investiert. Statt weiter in die
Infrastruktur wolle die Stadt nun künftig kleinteilig in das soziale Umfeld investieren,
sagte Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee in einer ersten Reaktion auf die
Studie.
Grünau wird älter, sozial gemischter und vermutlich noch etwas weiter schrumpfen, so die
Prognose von Dr. Sigrun Kabisch und ihren Kollegen Annett Fritzsche und Dr. Matthias
Bernt. Aus Sicht der UFZ-Wissenschaftler heißt das: Gebraucht werden mehr altengerechte
Wohnungen mit Fahrstuhl. In enger Verbindung mit dem Alter steht auch die hohe Bindung der
Mehrheit der Bewohner an Leipzig-Grünau. Für sie ist die Plattenbausiedlung ein
lebenswertes Wohngebiet. Außen- und Innenwahrnehmung unterscheiden sich hier deutlich.
Für die Einwohner ist klar: Die Platte ist wesentlich besser als ihr Ruf.
Tilo Arnhold
Leipzig, 11. März 2005 |
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Literatur zum
Thema: |
Kommunikative Steuerung des
Stadtumbaus
Interessengegensätze, Koalitionen und Entscheidungsstrukturen in schrumpfenden Städten.Christine
Weiske, Sigrun Kabisch, Christine Hannemann (Hrsg.)
VS Verlag, Wiesenbaden, 2005
ISBN 3-531-14358-1
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unter nachfolgenden Link:
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Stadtumbau unter
Schrumpfungsbedingungen
Eine sozialwissenschaftliche Fallstudie.Autoren: Sigrun Kabisch, Matthias Bernt,
Andreas Peter
VS Verlag, Wiesenbaden, 2004
ISBN 3-8100-4171-8
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Bestellbar zum Beispiel hier
unter folgenden Link:
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Weitere
fachliche Informationen:
Dr. Sigrun Kabisch
Leiterin des UFZ-Departments Stadt- und Umweltsoziologie
Telefon: 0341-235-2366 Die Wissenschaftler des
UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ) erforschen die komplexen Wechselwirkungen
zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften. Sie entwickeln
Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für
nachfolgende Generationen zu sichern.
Das UFZ ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die mit ihren 15 Forschungszentren und
einem Jahresbudget von rund 2.2 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation
Deutschlands ist. Die insgesamt 24.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Helmholtz-Gemeinschaft forschen in den Bereichen Struktur der Materie, Erde und Umwelt,
Verkehr und Weltraum, Gesundheit, Energie sowie Schlüsseltechnologien.
www.ufz.de |
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